In den letzten 10 Jahren eroberte die elektronische Schaltung das Rennrad und auch die hydraulische Scheibenbremse ist heute bei vielen Rennradfahrern unverzichtbar geworden. Powermeter gehören dank der stark gesunkenen Preise ebenfalls schon fast zum Standard am Rennrad. Die Kurbeln aber blieben im Verbund mit ihrem Spider über viele Jahrzehnte unberührt. Und das, obwohl dieser Verbund gar nicht optimal ist. Direct Mount ist die Lösung dafür un das Kurbel-System der Zukunft.

Sucht man heute nach Direct Mount und Rennrad bei Google, ist das Ergebnis ernüchternd. Das liegt letztlich am bisher für Rennradfahrer faktisch nicht verfügbaren Material. Ganz anders bei den Mountainbikern. Hier haben sich Direct Mount Kurbeln in Windeseile durchgesetzt. Heute finden sich Direct Mount (DM) Kurbeln an fast jedem Offroadbike und der Wechsel weg vom Spider lief so smooth wie selten bei neuer Technik am Rad. Die Technik ist simpel, ausgereift, hat zahlreiche Vorteile und dabei keine Nachteile. Zudem greift die Technik auch nicht mehr in den Geldbeutel, als es eine spiderbasierte Kurbel der alten Generation tut. Was also hindert die Industrie daran Direct Mount am Rennrad einzuführen? Wurde hier ein Trend verschlafen, der womöglich gar kein Trend ist, sondern vielmehr ein echter Paradigmenwechsel, eine waschechte Kurbelrevolution?

In der Regel sind es die großen Player wie Shimano® oder SRAM®, die entweder selbst oder durch zugekaufte Technologie einen solchen Wechsel anschieben. Zuweilen sind es aber auch Rahmen- und Komponentenhersteller wie z.B. Trek mit dem Boost-Standard oder Schwalbe, die wie kein anderer Tubeless gepusht haben. In Sachen Direct Mount ist es der Komponenten- und Powermeter-Spezialist Rotor aus Spanien, der sich vor allem mit seinen extrem erfolgreichen und verstellbaren ovalen Kettenblättern (Q Rings) einen Namen gemacht hat. Die mit allerlei CNC-Hightech hochgerüstete Manufaktur in Madrid ist weit mehr als nur ein Marktteilnehmer. Hier entstehen auf europäischem Boden komplette Kurbelsysteme, auf Wunsch mit fortschrittlicher Leistungsmessung in der geschützten Achse, Kettenblätter werden mit höchster Präzision aus dem Block gefräst und seit 2 Jahren mit Entwicklungshilfe von Magura hydraulische Schaltgruppen (UNO) entwickelt und produziert. Vergleichbar ist Rotor mit Giganten wie Shimano® oder SRAM® nicht, aber oft sind es eben auch die Strukturen der großen Firmen, die Entwicklungen behindern.

Was ist nun eigentlich eine Direct Mount Kurbel?

Sprechen wir von Direct Mount am Rennrad, war damit bisher ein aerodynamisch vorteilhaft integriertes Bremssystem an Aero-Rädern (TT, Triathlon) gemeint. Eine Direct Mount Kurbel hingegen bezeichnet ein modulares Kurbelsystem, bestehend aus zwei Kurbelarmen (links und rechts), einer Achse mit DM-Spline und natürlich dem speziellen DM-Kettenblatt. Ein Schaubild von Rotor demonstriert das recht leicht verständlich:

Klassische Systeme mit Spider

Der Unterschied zum klassischen Kurbelsystem ist offensichtlich. Zwar gibt es auch bei den spiderbasierten Kurbeln modulare Systeme, nur eben nicht mit dem Direct Mount Standard. Eine normale Rennradkurbel wie die Shimano® UltegraFC-R8000 besteht aus dem rechten Kurbelarm mit Spider und darauf montierten Kettenblättern, sowie der fest verbundenen Achse. Der zweite Kurbelarm ist separat und wird mit der von rechts durchgesteckten Achse verbunden.  Sollen Blätter getauscht werden, werden die vier/fünf Kettenblattschrauben gelöst (Spezialwerkzeug wie Shimano TL-FC21 ggf. notwendig), die Blätter gewechselt und mit dem Drehmomentschlüssel wieder verschraubt. Je nach Kurbel muss diese auch demontiert werden. Idealerweise werden die Kettenblattschrauben noch mit einer Schraubensicherung wie Loctite® gesichert.

Direct Mount

DM Doppelkettenblatt im Onepiece-Design

DM Doppelkettenblatt im Onepiece-Design

Direct Mount funktioniert simpler. Bei einem Wechsel des Kettenblatts wird nur der rechte Kurbelarm mit einem Innensechskantschlüssel gelöst, das Kettenblatt abgezogen und durch ein anderes ersetzt. Der Kurbelarm wird wieder verschraubt, fertig. Bei einer deutlichen Änderung der Kettenblattgröße ist unter Umständen und wie bisher eine kürzere/längere Kette zu montieren.
Es ist aber nicht nur der  einfachere Wartungsvorgang der Direct Mount so vorteilhaft macht. Der direkte Verbund von Kettenblatt und Achse bedeutet auch den idealen Kraftschluss im Antrieb ohne ein Bindeglied (Spider an Kurbel an Achse). Sich selbst ausdrehende oder knarzende Kettenblattschrauben gibt es nicht, das Blatt kann sich auch nicht lösen. Die Verbindung zwischen Kettenblatt und Achse ist der Spline, eine Positiv-Zahnrad an der Achse mit seinem Negativ-Gegenstück am Kettenblatt mit sehr feiner Zahnung. Diese filigrane Zahnung eröffnet übrigens einen weiteren großen Vorteil der Direct Mount Systemwelt von Rotor – die Verstellbarkeit von Rotors ovalen Kettenblättern.

Direct Mount mit ovalen Kettenblättern 

Während es bei runden Kettenblättern bis auf optische Gesichtspunkte egal ist an welcher Stelle das Blatt aufgeschoben wird, lassen sich die ovalen Q Rings von Rotor dank Direct Mount auf ein Grad genau auf der Achse positionieren. Dies geschieht natürlich in Relation zur Kurbelarmstellung. Als Hilfestellung hat Rotor Fixpunkte an Kurbelarminnenseite (rechts) und Kettenblatt optisch markiert (OCP). Die Verstellbarkeit der 12.5% Ovalität ist der große und patentgeschützte Vorteil von Rotor gegenüber anderen Anbietern ovaler Blätter.
Bisher ließen sich die Blätter je nach System auf bis zu 5 Positionen verändern. Direct Mount erlaubt im sinnvollen Wirkbereich von etwa 30 Grad eine superexakte Einstellung. Mit den ebenfalls neuen Direct Mount Powermetern (Leistungsmesskurbeln) von Rotor lässt sich die perfekte Position am Smartphone, Tablet oder Rechner (PC/MAC) ermitteln und auch Vorher/Nachher-Vergleiche zu runden Blättern bzw. ovalen Blättern in anderer Position anzeigen. Die Software erhält jeder Powermeter-Käufer von Rotor kostenlos für Android, iOS, Windows oder MacOS.

Ein weiterer Vorteil ist der schnelle und mobile Wechsel der Blätter mit einem 10er Innensechskant (Inbus), wie z.B. im Trainingslager oder vor einem Wettkampf. Werkstattbesuche und Kraftakte mit Verletzungsgefahr sind Geschichte. Ein DM-Kettenblatt lässt sich auch vom Laien innerhalb von zwei Minuten wechseln.

Warum kommt Direct Mount erst jetzt?

Nun muss man sich tatsächlich und ernsthaft die Frage stellen, warum kommt dieses System erst jetzt auf den Markt? Wir wissen es auch nicht. Fakt ist aber, dass sich die Einführung am Mountainbike so schnell vollzogen hat wie die Federgabeln Anfang der 90er das Herz der Mountainbiker erobert haben. Rotor bietet schon seit Jahren Direct Mount Kurbeln für Mountainbiker an. Mit oder ohne Leistungsmessung und in runder als auch ovaler Bauform. Übrigens nicht nur für seine eigenen Kurbeln, sondern für nahezu alle am Markt befindlichen Systeme von Shimano, SRAM, Race Face etc. pp. Die statistisch jüngere Zielgruppe der Mountainbiker adaptiert Systemwechsel möglicherweise schneller und bereitwilliger als wir Rennradfahrer.

Die diesjährige Eurobike war daher der Gradmesser der Spanier für die Stimmungslage der Radsportler, nachdem die beiden ersten DM-Kurbeln von Rotor Aldhu und Vegast eher ohne Trommelwirbel den deutschen Markt erreichten. Zwar bietet Rotor nach wie vor spiderbasierte Rennradkurbeln an, doch ist der Wechsel zu Direct Mount längst beschlossene Sache. Das Fachpublikum der Eurobike zeigte sich begeistert von der neuen Technologie und die Jury der Messe kürte den ersten Direct Mount Powermeter Rotor INpower DM mit dem Gold Award. Der große Andrang an Rotors Messestand hatte aber einen weiteren Grund, denn Direct Mount ist nur ein Teil einer kompletten Produktfamilie. Mit der hydraulischen 1×13 Gruppe bietet Rotor ab 2019 eine vollständige Schaltung für Rennrad und Mountainbike an.

Während dieses System für sich eine ganz eigene Revolution darstellt und dann auch den Umwerfer obsolet macht, ist das flankierende Direct Mount System am Rennrad schon heute verfügbar und das in großer Bandbreite.

Welche Direct Mount Kurbeln und Kettenblätter gib es schon?

Das Sortiment bei Rotor ist bereits erstaunlich groß und wächst stetig. Wann die großen 3 ebenfalls zum Direct Mount System wechseln ist noch unklar. Da Rotors Kurbeln aber vollständig kompatibel zu den Schaltgruppen der anderen Hersteller sind, ist dies kein relevanter Showstopper.

Kurbeln

Mit der Aldhu und Vegast findet sich für jedes Budget die richtige Kurbel. Dabei liegt der Unterschied nur im Gewicht (Vegast +34g) und der Kurbelarmlängen (Aldhu 7, Vegast 3). Die extrem leichte Aldhu setzt Maßstäbe bei Gewicht und Verarbeitung und muss sich auch vor den superteuren Leichtbaukurbeln jenseits der 1000-Euro-Grenze nicht verstecken. Das aber zu einem hochattraktiven Preis weit unter dieser Schwelle. Die minimal schwerere Vegast ist optisch nahezu identisch, kostet aber nur die Hälfte. Beide Kurbeln bestehen aus den beiden Kurbelarmen, der DM-Achse und den DM-Kettenblättern. Je nach Bedarf stellt man sich als Kunde sein individuelles Set zusammen.

Kettenblätter

Rotor bietet bereits eine vollständige Kettenblattsortierung von 38-54Z in runder und auch ovaler Bauform für Einzelkettenblätter an. Doppelkettenblätter gibt es in den Kombinationen 50/34, 52/36 und 53/39. Die Kombinationen 54/32 und 46/30 sind ebenfalls angekündigt und folgen in Kürze. Alle Doppelkettenblätter entstehen im Onepiece-Design, werden also aus einem Block gefräst. Technisch ist dieser Vorgang hochgradig komplex und aufwändig. Er setzt  computergesteuerte Produktionsanlagen voraus. Ergebnis sind bildschöne Kettenblätter, die sich an der Kurbel montiert natürlich in bestehende Schaltgruppen von Shimano®, SRAM® oder Campagnolo® integrieren lassen. Die Kettenblätter von Aldhu, Vegast und den beiden Powermetern sind übrigens identisch und austauschbar. Zum Zeitpunkt dieses Artikels sind die Einfachkettenblätter im Zulauf nach Deutschland und noch nicht fotografiert. Daher fehlen uns noch freigestellte Bilder.

Spider-Kettenblätter vs Doppelkettenblätter

Spiderbasierte Kurbeln bieten die Möglichkeit des Tauschs von einzelnen Kettenblättern. Wenn also das kleine Blatt verschlissen ist, wird auch nur das kleine Blatt getauscht. Diese Möglichkeit gibt es bei einem Doppelkettenblatt im Onepiece-Design nicht. Beide Blätter bestehen aus einem Stück und teilen sich somit auch den Spline. Rotor begegnet dieser Thematik mit der Nutzung von hochfestem 7075 und wärmebehandeltem (T6) Aluminium. Diese Legierung weist eine besondere Härte bei gleichzeitig sehr niedrigem Gewicht auf und wird vorrangig in der Luft- und Raumfahrt, bei Wehrtechnik und hochbeanspruchten Fahrradteilen benutzt. Die hart anodisierte Oberfläche und behält somit langfristig ihr schönes Finish. Die Härte des Materials begünstigt in Kombination mit dem speziellen Schliff der Zahnprofile eine lange Lebensdauer der Kettenblätter.

Powermeter/Leistungsmesser

Von den beiden Kurbeln ohne Leistungsmessung flankiert, konvertierten auch die Powermeter Rotor INpower (einseitige Messung) und 2INpower (beidseitige Messung) zum Direct Mount System. Auch hier ist die auslaufende Serie mit Spider noch am Markt verfügbar. Ab 2019 dürften aber auch die Restbestände verkauft sein. Zwischen den normalen Kurbeln und den Powermetern gibt es einen bauartbedingten Unterschied: während Aldhu und Vegast voll modular aufgebaut sind, ist die DM-Achse von INpower und 2INpower mit dem rechten Kurbelarm fest verbunden. Da Rotor auf eine (bei 2Inpower teilweise) in der Achse geschützt liegende Elektronik und Sensorik setzt, wurde die feste Verbindung dieser beiden Komponenten notwendig. Dies ändert nichts an der Funktionalität von Direct Mount, ein wenig aber den Austausch von Blättern, der dann minimal länger dauert. Dabei wird auch der linke Kurbelarm abgezogen und das Kettenblatt von links über die Achse geschoben. Das Kettenblatt ist bei den Powermetern mit einer zusätzlichen Sicherung fixiert, die bei Aldhu und Vegast nicht notwendig ist.

Spider

Spider? Wieso Spider? Bei Direct Mount geht es doch um ein spiderloses System! Korrekt. Rotor sichert sich bei all seinen Produkten immer in alle Richtungen mit einer hohen Kompatibilitätsrate ab, so auch beim Direct Mount System. Wer sich in den Kampf gegen die etablierten OEM-Marken wagt, ist gut beraten kein isoliertes System anzubieten, sondern seinen Kunden möglichst viele Türen zu öffnen. Diesen Anspruch erfüllen die beiden DM-Spider 110×4 (für die meisten aktuellen 4-Loch Kettenblätter) und 110×5 (ab September 2018, für 5-Loch Blätter). Beide gestatten die Montage klassischer Blätter in diesen Lochkreisstandards auf dem DM-Spider. Gedacht ist diese Lösung für all jene Fahrer, die ihre alten Blätter gerne noch weiter fahren möchten, ihr Rad aber jetzt mit einer der sehr leichten Kurbeln oder technisch so fortschrittlichen Powermeter ausrüsten möchten.

Der Direct Mount Spider von Rotor erlaubt die Montage von klassischen Lochkreis-Kettenblättern an einer modernen Direct Mount Kurbel

Der Direct Mount Spider von Rotor erlaubt die Montage von klassischen Lochkreis-Kettenblättern an einer modernen Direct Mount Kurbel

Der Blick zurück – so entstand Direct Mount bei den Mountainbikes

Direct Mount entstand bei den Mountainbikern aus dem Wunsch heraus Kurbeln anbieten zu können, die mit einem Kettenblatt auskommen und dafür eine große Spreizung an der Kassette bieten. Der bei Mountainbikes inzwischen schon fast beerdigte Umwerfer wurde damit ebenfalls überflüssig und mit ihm verabschiedete sich auch gleich die Problematik von fallenden Ketten im ruppigen Gelände. Des Weiteren brachte Direct Mount den Mountainbikern einen systemischen Vorteil mit, den spiderbasierte Kurbeln nicht bieten können: die Kettenblätter konnten deutlich kleiner werden, da der limitierende Spider nun fehlte. Zwar gibt es auch heute noch viele Mountainbikes mit 2 (oder mehr) Kettenblättern, der Trend geht jedoch mit der stark gewachsenen Zahl an Ritzeln am Hinterrad ganz klar zum Einfachantrieb und das bei allen Herstellern. Die Rahmenhersteller freut es ebenso, denn so eröffnen sich plötzlich ganz neue Möglichkeiten im Rahmenbau. Direct Mount ist auch am Rennrad nur der Anfang, denn das es am Rennrad ebenfalls ohne Umwerfer und Gangverlust klappt, demonstrierte Rotor mit dem 1×13 Antrieb, den wir in Kürze ausführlich vorstellen.

Ein Blick in die nahe Zukunft

Direct Mount am Rennrad ist keine schöne Vision mehr, sie ist bereits Realität und wird von Monat zu Monat an mehr Rädern verbaut. Der große Unterschied zu den hart diskutierten Scheibenbremsen am Rennrad ist die doch eindeutige Faktenlage. Es gibt eigentlich nur Vorteile, wie den deutlichen Gewichtsvorteil, den direkten Kraftschluss, die größere Sicherheit und die sehr schnelle Montage/Wartung mit nur einem einfachen Werkzeug. Selbst am Design ist wenig zu rütteln, DM wirkt sehr aufgeräumt und ist schick. Zukünftige Aero-Varianten werden in der Zukunft auch die TT-Fraktion beglücken.

Es ist zu erwarten, dass Direct Mount innerhalb der nächsten 2 Jahre den Rennradmarkt erobert und in Zukunft auch von den großen Marken angeboten wird. Darauf kann man warten oder schon heute mit der Technik von morgen fahren.